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Projekt „Leben“
Das kleine Mädchen tanzt. Es trägt nur einen Schuh, den anderen hält es in der Hand, während es sich glücklich im Takt einer imaginären Musik wiegt. Die Mutter schaut ab und zu ihrer eineinhalbjährigen Tochter hinüber. Ihre Aufmerksamkeit – wie auch diejenige der anderen Mütter, die sich hier in einem kleinen Zimmer im Centre de Santé in Rulindo, einem Bezirk von Ruanda, versammelt haben – gilt ganz der Krankenschwester. Sie erklärt, wie wichtig richtige Ernährung für Mutter und Kind während der Schwangerschaft und der Stillzeit ist. Die Mütter und ihre Kinder erhalten einen angereicherten Brei, den Africa Improved Foods (AIF) herstellt. Er wird von der ruandischen Regierung verteilt, um die Ernährungssituation im Land zu verbessern und gegen die weit verbreiteten Wachstumsstörungen vorzugehen.
Die Mütter haben ihre Babys hierhergebracht, damit sie gewogen, gemessen und ihr Entwicklungsfortschritt eingeschätzt werden kann. Wenn sie zu einem solchen Check-up kommen, nehmen sie an einer Schulung teil und erhalten gleichzeitig mit Vitaminen und Mineralstoffen angereichertes Getreide, dessen Zubereitung sie in einer anderen Schulung gelernt haben.
Die von AIF hergestellten angereicherten Getreideflocken sind für die Mütter kostenlos. Sie werden im Rahmen des 1000-Tage-Programms verteilt, das das ruandische Gesundheitsministerium ins Leben gerufen hat, um die Auswirkungen der Mangelernährung anzugehen. Vor allem in den ersten 1000 Tagen zwischen der Empfängnis und dem zweiten Geburtstag sind solche weit verbreitet.
Die jungen Frauen lauschen gebannt, als die Schwester ihnen erklärt, wie sie der Mangelernährung bei ihren Babys und sich selbst vorbeugen können. Ernähre dich während der Schwangerschaft richtig, stille während mindestens zwei Jahren und gib deinem Kind ab sechs Monaten neben der Muttermilch den angereicherten Brei, den die Regierung bereitstellt.
Die meisten jungen Frauen hier gehören zu den 20 % der Ärmsten des Landes; ihnen mangelt es an Bildung, was sie noch anfälliger macht. Hinzu kommt die Ernährungsunsicherheit, die in Ruanda konstant droht. Die Regierung ist darum mit AIF eine Partnerschaft eingegangen, um für beide Probleme eine dauerhafte Lösung zu finden.
Trotz aller Bemühungen sind fast 37 % aller unter Fünfjährigen in Ruanda von Entwicklungsstörungen betroffen, wie ein Regierungsbericht zur Ernährungssicherheit in einer Schwachstellenanalyse von 2015 konstatiert. Entwicklungsstörungen sind eine Folge von Unterernährung, was vereinfacht gesagt heisst, dass davon betroffene Kinder erheblich kleiner sind als der Altersdurchschnitt. Doch das Thema umfasst weit mehr als gehemmtes Wachstum – diese Kinder haben auch Probleme bei der kognitiven Entwicklung und der Entwicklung der Organe, sie haben ein geschwächtes Immunsystem und leiden als Erwachsene an chronischen Krankheiten. Obwohl sich die Situation seit der letzten Studie von 2012, wo 43 % der Kinder betroffen waren, leicht verbessert hat, bleibt viel zu tun: vor allem in ländlichen Gegenden wie Rulindo, wo der Durchschnitt immer noch bei 40 % liegt (verglichen mit 27 % in städtischen Gebieten).
Die Statistik ist erschreckend, aber Entwicklungsstörungen können verhindert werden, wenn in den ersten 1000 Tagen die richtigen Schritte unternommen werden. „Wir haben 46 Kinder im Regierungsprogramm im Centre de Santé untergebracht. Alle haben Entwicklungsstörungen, ihre Körpergrösse entspricht nicht der durchschnittlichen Grösse ihres Alters“, sagt Jacqueline Urures, Leiterin des Gesundheitszentrums und seit 15 Jahren Krankenschwester.
„Es wird einige Zeit dauern, bis alles genau ausgewertet ist, aber wir können schon jetzt sagen, dass drei dieser Kinder inzwischen der Alterskurve entsprechen. Gut ernährte Kinder haben auch mehr Energie.“
AIF will Mangelernährung nicht nur in Ruanda eindämmen, sondern in ganz Subsahara-Afrika, das in den letzten Jahren von mehreren Hungersnöten gebeutelt wurde. Die derzeitige Hungersnot geht auf die schwerste Dürre der letzten Jahre zurück. Zusätzlich arbeitet AIF am Aufbau einer nachhaltigen Nahrungsmittelkette in Ruanda in der Hoffnung, diese in den kommenden fünf Jahren auch in anderen Ländern wie Uganda, dem östlichen Kongo, Kenia, Tansania und Äthiopien zu implementieren. „Wir leisten Nahrungsmittelnothilfe und liefern Nahrung, um der Mangelernährung entgegenzuwirken, aber es muss mehr getan werden. Wir wollen afrikanische Länder unterstützen, so dass sie nicht mehr auf internationalen Support angewiesen sind und sich wirtschaftlich selbst erhalten können, indem sie lokale Fähigkeiten nutzen“, erklärt Amar Ali, CEO von AIF.
Bei AIF sind 300 Leute direkt angestellt – darunter Anlagenbediener, die erst einmal lernen mussten, wie die hochmoderne, von Bühler gebaute Fabrik in Kigalis Wirtschaftssonderzone effizient und sicher bedient wird. Das Werk hat eine Produktionskapazität von 45’000 Tonnen im Jahr. „Mit Blick auf die Hungersnot in Ostafrika ist Afrikas Bedarf nach unseren Produkten extrem hoch“, sagt Ali. „Wir können uns keine Ausfallzeiten leisten. Wir haben uns für Bühler entschieden, weil wir ein renommiertes Unternehmen wollten, das weiss, wie man in Afrika und generell unter schwierigen Bedingungen baut, ohne Kompromisse bei der Qualität einzugehen, und das uns durch Dick und Dünn begleitet. Es gab viele Herausforderungen, aber Bühler hat uns immer als Partner begleitet. Es war nicht einfach, Leute zu finden, die die Anlage betreiben. Bühler hat uns auch dabei unterstützt und unsere Leute in der Produktion in Nairobi geschult.“
AIF hat das 60 Millionen Schweizer Franken teure Werk im Mai 2017 offiziell eingeweiht, aber bereits Ende 2016 die Produktion von angereichertem Getreide für die grössten Kunden – das UN-Welternährungsprogramm (WFP) und Ruandas Regierung – aufgenommen. Vom Produktionsstart bis Ende 2017 hat das Unternehmen vier Millionen Kilogramm angereichertes Getreide für Ruandas Regierung hergestellt und 17 Millionen Säcke – 26 Millionen Kilogramm – Nahrungsmittelnothilfe für das WFP. Das WFP und die Regierung Ruandas sind nicht nur Kunden. Sie sind auch Mitglieder des öffentlich-privaten Joint Venture AIF, nebst Royal DSM (dem Projektinitiator), der International Finance Corporation, der niederländischen Entwicklungsbank FMO und der CDC Group aus Grossbritannien.
„Wir könnten unsere Mission nicht erfüllen ohne die Unterstützung der ruandischen Regierung, die gleichzeitig Aktionär, Kunde und Partner ist“, sagt Ali.
„Das WFP ist unser grösster Kunde. Dank ihm erzielen wir mit unseren Produkten Grössenvorteile und können sie erschwinglicher machen. Zudem helfen uns die strengen Qualitätsrichtlinien dabei, die allgemeinen Produktionsstandards im ganzen Land zu verbessern. Zusammen beeinflussen wir mit diesem wirtschaftlichen Entwicklungsmodell das ganze System um uns herum nachhaltig positiv.“
Die Welt braucht Kleinbauern, die die nötige Nahrung liefern. AIF kann dazu beitragen, dass die Lebensgrundlagen auf dem Land nachhaltiger werden.
AMAR ALI,
CEO von Africa Improved Foods
Das Unternehmen bezieht den Mais und die Sojabohnen für seine Breie ohne Zwischenhändler direkt von fast 10’000 lokalen Kleinbauern, die bei der Anlieferung sofort bezahlt werden. Es unterstützt so die Regierung, die den Wandel in der Landwirtschaft vorantreiben will. Diese macht laut dem Nationalen Institut für Statistik derzeit rund 33 % von Ruandas Bruttoinlandprodukt (BIP) aus. Diesen Prozentsatz will die Regierung anheben.
Denn rund 70 % der Ruander leben von der Landwirtschaft. Eine davon ist Landwirtin Vestine Akmanizanye. Allein schafft es die Witwe nicht, ihr 250 Quadratmeter grosses Feld in der nördlichen Provinz zu bepflanzen und abzuernten. Das muss sie zum Glück auch nicht, denn sie ist Mitglied der von AIF unterstützten Bauernkooperative im Bezirk Rulindo, zu der 160 Hektar – 1,6 Millionen Quadratmeter – Ackerland gehören, die von 3300 Familien bewirtschaftet werden. An einem dunstigen, warmen Septembermorgen im Jahr 2017 haben sich fast 20 Mitglieder der Kooperative versammelt, um der Witwe bei der Maissaat zu helfen. „Alleine würde ich das nicht schaffen“, sagt sie auf Kinyarwanda, der Landessprache. Der Manager der Kooperative, Thacien Hakizimana, übersetzt ihre Worte: „Die Menschen in der Kooperative arbeiten zusammen. Wir arbeiten in Harmonie und unterstützen uns gegenseitig“, sagt sie.
Jede Familie bestellt zwischen 100 und 1500 Quadratmeter Land. Die meisten Familien haben keinen Zugang zu modernen Ernte-, Verarbeitungs- und Lagermethoden. Hier kommt AIF ins Spiel. Das Konsortium holt den Mais kurz nach der Ernte ab und transportiert ihn direkt zu seinen Anlagen, wo der Feuchtigkeitsgehalt auf einem akzeptablen Niveau gehalten wird. „Da AIF die Maisernte sofort abholt, haben wir viel weniger Ernteverluste durch Aflatoxin“, sagt Yassin Iyamuremye, Generaldirektor Unternehmensdienstleistungen beim Ministerium für Landwirtschaft und Nutztiere.
Die Bauern, die in von AIF unterstützten Kooperativen arbeiten, werden gleich bei der Anlieferung bezahlt – ein unübliches, aber effektives Vorgehen. AIF bezieht die Ernte direkt von den örtlichen Bauern, die so ein höheres Einkommen erzielen, eine bessere Lebensgrundlage haben und finanziell unabhängiger werden. „Ich bin dankbar, dass ich in der Kooperative bin. Ich bekomme gutes Saatgut und guten Dünger. Ohne Zwischenhändler erhalte ich den besseren Preis für meine Ernte“, sagt Akmanizanye.
Ich bin dankbar, dass ich in der Kooperative bin. Ich bekomme gutes Saatgut und guten Dünger. Ohne Zwischenhändler erhalte ich den besseren Preis für meine Ernte.
VESTINE AKMANIZANYE,
Kleinbäuerin und Mitglied der Kooperative
Bis vor drei Jahren war es für die Regierung schwer, einen Markt für von Kleinbauern produzierten Mais und Sojabohnen aufzubauen. Dies sei heute nicht mehr der Fall, sagt der Generaldirektor, denn AIF brauche etwa 30’000 Tonnen Mais im Jahr. „Als nächstes müssen wir eine Strategie entwickeln, mit der wir sicherstellen, dass wir auch künftig genug Rohmaterial zur Verfügung haben. Wir müssen ein System einrichten, mit dem wir den Folgen von Dürre und Klimawandel entgegentreten können. Bewässerungssysteme spielen hier eine grosse Rolle. Kooperativen sind wichtig für die Dürrevorsorge“, sagt Iyamuremye. „Gut gemanagte Kooperativen können etwas bewegen, nicht nur im Leben der einzelnen Bauern. Sie unterstützen auch die Regierung dabei, das Ziel eines höheren landwirtschaftlichen BIP zu erreichen. Die Kooperativen geben ihr Wissen erfolgreich weiter.“
Elia Habimana, Vorsitzender der Kooperative im Distrikt Rulindo, hat den ehrenamtlichen Posten übernommen, um anderen Bauern dabei zu helfen, ihr Wissen untereinander auszutauschen. Habimana werde respektiert und sei für die anderen ein Vorbild, erklärt Hakizimana, der Manager der Kooperative. „Vorsitzender zu sein bedeutet eine Menge Arbeit, aber ich möchte der Regierung dabei helfen, die Landwirtschaft nachhaltig zu entwickeln“, sagt Habimana. „Wir Bauern haben aus den Dürren gelernt. Wir heben die Qualität unserer Ernten an und verbessern unsere Erträge. Wir profitieren zu 100 % von unserer Partnerschaft mit AIF.“
Mit der Investition in die Kooperativen verfolge AIF mehr als nur seine Produktionsziele, sagt der CEO. „Weltweit sind 80 % der Landwirte Kleinbauern, und sie produzieren über 80 % der Lebensmittel, die in den Entwicklungsländern konsumiert werden. Sie spielen also eine wichtige Rolle bei der Ernährungssicherheit. Wir stehen hier aber vor einem grossen Problem:
Heute wollen die Jungen die kleinen Bauernhöfe ihrer Eltern nicht mehr übernehmen“, sagt Ali. „Das hat viel damit zu tun, dass diese Höfe in der Vergangenheit nicht rentabel waren. Wir versuchen, dafür eine Lösung zu finden, es ist aber nur ein Teil eines grösseren Problems. Schätzungen gehen davon aus, dass Afrikas Bevölkerung bis 2050 jeden Tag um 100’000 Menschen wächst. Diese Menschen brauchen Nahrung und Arbeit, und die Welt braucht Kleinbauern, die die nötige Nahrung liefern. AIF kann dazu beitragen, dass die Lebensgrundlagen auf dem Land nachhaltiger werden.“
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